Vorsicht Nachsicht

Klappentext:

Rubens Alltag ist zwar weder spannend noch erfüllt, aber immerhin schafft er es, Uni und Arbeit ohne fremde Hilfe unter einen Hut zu bringen. Zumindest bis die Stimme aus seinen Träumen in Person vor ihm steht. Denn Kilian ist wirklich ein Traummann – allerdings einer, der auch nicht vor unmoralischen Angeboten zurückschreckt…

Vorsicht Nachsicht ist ein Einzelband

Print: EUR 14,95
Ebook: EUR 8,99
ISBN-13: 978-3-942451-05-5
Umfang: 521 Seiten
Publisher: Cursed Verlag
Erscheinungsdatum: 25.09.2012
Genre: Contemporary, Alltag, Erotik

Vorsicht Nachsicht als Print oder Ebook bestellen:
cursed-verlag.de
amazon.de
thalia.de
Gastauftritte von Charakteren aus Vorsicht Nachsicht in anderen Romanen:

Cover: Kaffeekavalier

 
Auszug:

Samstag ist die Hölle los. Ich muss sogar noch länger arbeiten als gewöhnlich, weil die normale Besatzung dem Ansturm nicht standhalten kann. Von neun bis ein Uhr nachts – voraussichtlich. Ein Marathon, aber mein Chef hat versprochen, für die zusätzlichen Stunden extra etwas draufzulegen. Daher habe ich zugesagt, obwohl ich wusste, worauf ich mich einlasse.

Zudem ist auch noch Torben da. Mein Cousin zweiten Grades. Er ist das absolute Gegenteil von mir. Allerdings auch der einzige schwule Freund – wenn man Verwandte als Freunde bezeichnen kann –, den ich habe. Und sofort hat er wieder etwas an mir auszusetzen.

„Himmel, Ruben, wie siehst du denn aus? So ziehst du ja nie einen Kerl an Land.“

„Ich habe auch keine Zeit für sowas“, knurre ich müde. Inzwischen bin ich seit zwölf Stunden auf den Beinen. Eigentlich darf man das gar nicht, glaube ich. Verdammt, meine Füße verbieten es jedenfalls. Ich habe keine Lust, mich jetzt auch noch von Torben und seinen Freunden aufziehen zu lassen.

Das scheint dem allerdings völlig egal zu sein. Er ist sogar aufgestanden und wurschtelt in meinen Haaren herum. Ich bin todunglücklich und gebe mir keine Mühe, es zu verbergen.

„Du musst unbedingt zu mir kommen und dir die Strähnen nachziehen lassen. Man sieht ja schon die Ansätze“, stellt er kritisch fest. Er ist nicht nur mein Cousin und Freund, sondern auch mein Friseur. Ich bin eins seiner liebsten Versuchsobjekte, weil ich mich selten wehre. Ausgeflippte Frisuren sind okay, dann kann ich wenigstens vortäuschen nicht ganz so langweilig zu sein, wie ich eigentlich bin.

„Ich arbeite noch die ganze Woche Doppelschichten. Wenn du irgendwas nachfärben willst, musst du das tun, während ich schlafe“, brumme ich resigniert. „Was wollt ihr denn haben?“

„Kannst du uns etwas empfehlen? Oder ein Sonderangebot machen?“ Torben lächelt mich einnehmend mit flatternden Wimpern an. Allerdings hat er damit wegen des verwandtschaftlichen Aspekts keine Chance bei mir. Er lässt mich völlig kalt.

Stoisch gucke ich zurück. „Nein. Nehmt den Cocktail des Tages oder wartet noch zwei Stunden bis zur Happy Hour.“

„Wie lange arbeitest du denn noch?“, will einer von Torbens Freunden wissen.

„Bis eins.“

„Kannst du uns die Drinks, die wir jetzt bestellen, nicht auf die Happy Hour anrechnen?“, fragt der Schlaumeier.

Nein, kann ich nicht. Wenn das rauskommt, bin ich den Job los und das kann ich mir nicht leisten. Ich seufze. „Nehmt immer zwei von einer Sorte, dann guck ich, was ich machen kann. Aber ich verspreche nichts, okay? Wenn mein Chef kommt, müsst ihr normal zahlen.“

„Bist ein Schatz“, flötet Torben und gibt mir einen flüchtigen Kuss. Ich würde sagen, das ist mein erster Kuss seit über sechs Monaten. Verdammt, bin ich armselig.

Ungeduldig notiere ich ihre Bestellung und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Als ich mich umdrehe, laufe ich prompt gegen einen anderen Gast. Es ist furchtbar voll samstags um diese Zeit. Obwohl im Gegensatz zu werktags nun auch das Obergeschoss des Cafés – jetzt Nachtcafé mit Cocktailbar – geöffnet ist. Hier oben, gibt es eine längere Bar und einige Sitz- und Stehtische. Deshalb passe ich normalerweise auch auf, wohin ich laufe. Überall diese Menschenmassen.

„Hoppla“, kommentiert mein Gegenüber und fängt mich hilfsbereit auf. Nur dass ich eigentlich gar keine Hilfe benötigt hätte, wenn ich nicht durch die Stimme endgültig aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Einigermaßen erschrocken registriere ich zudem die Hand auf meinem Hintern. Na, wenn das keine sexuelle Belästigung ist…

Bevor noch etwas Peinlicheres passiert, mache ich mich eilig los.

„Hi, Ruben“, grüßt er fröhlich.

„Hey.“ Ich nicke und spüre, wie mein Mund trocken wird. Für einen Moment sehe ich ihm in diese unglaublich blauen Augen. Mein Herz beginnt unwillkürlich zu pochen. Das passt mir eigentlich gar nicht. Schleunigst senke ich den Blick und weiche somit seinem intensiven Blick aus.

„Kilian“, erinnert er mich unnötigerweise.

„Ich weiß.“ An Gedächtnisschwund leide ich noch nicht. Erst recht nicht, was ihn betrifft.

„Schön.“ Er lächelt entspannt. „Wie geht’s dir?“

Wir stehen immer noch ziemlich dicht beieinander. Das liegt einerseits daran, dass direkt hinter mir Torben steht und – dafür muss ich mich nicht mal umdrehen – Kilian neugierig angafft; und anderseits daran, dass Kilian ebenfalls keinen Schritt zurückgewichen ist und mir somit den Weg versperrt. Ich sitze in der Falle. Oder stehe viel mehr, was meine Füße gar nicht mögen. Ich glaube, ich habe mir eine Blase gelaufen. Scheißschuhe.

„Gut“, antworte ich schlicht. „Und selbst?“

„Auch ganz gut.“ Er lächelt und betrachtet mich neugierig. „Wie lange arbeitest du noch?“

„Bis eins.“

Er stutzt. „So lange? Und wann hast du angefangen?“

„Um neun, wie immer“, brumme ich verlegen, weil ich nicht weiß, ob ich das überhaupt laut sagen darf.

Kilian scheint jedenfalls – milde ausgedrückt – bestürzt zu sein. Er schüttelt den Kopf. „Neun Uhr morgens?“

„Ähm ja“, bestätige ich und versuche so zu klingen, als wäre es nichts Besonderes. „Und ich muss jetzt auch weitermachen. Kann ich dir was bringen?“

„Am liebsten deinen Chef, damit ich ihm mal meine Meinung sagen kann“, knurrt Kilian plötzlich gar nicht mehr gut gelaunt, sondern ziemlich streng. „Das heißt ja, du arbeitest heute sechzehn Stunden!“

„Und?“ Ist ja nicht so, als würde ich es gern machen. Aber was sein muss, muss sein. „Wenn du nichts bestellen willst, lass mich bitte durch, ich muss an die Bar.“

Kilian lässt mich wortlos – wenn auch nicht ganz freiwillig – passieren. Aber meiner Entschlossenheit, meinetwegen auch Unfreundlichkeit – so werde ich nun mal, wenn ich mich in die Ecke gedrängt fühle – hat er nicht viel entgegenzusetzen.

„Wer war denn der Typ da gerade?“, fragt Torben neugierig bis vorwurfsvoll, als ich seiner Gruppe die Cocktails bringe. Sein Blick wandert auffällig zu dem Tisch, an dem sich nun Kilian mit ein paar Leuten niedergelassen hat. Eigentlich hätte ich gedacht, dass der in seinem Alter lieber unten sitzt und gemütlich an einem Whiskey nippt und nicht hier oben in der Cocktailbar unter lauter Kindern verweilt.

„Ein Gast“, brumme ich uninformativ. Ich habe keine Lust, dass Torben sich auf ihn stürzt, wenn er erfährt, wer Kilian tatsächlich ist. Sicherlich kennt er die Radiosendung, auch wenn er sie wahrscheinlich belächelt. Er hat nämlich keine Probleme damit, Männer kennen zu lernen. Nicht einmal in dieser Kleinstadt.

„Was du nicht sagst“, spottet er augenrollend. „Und warum geht dir der Gast an den Hintern, kennt deinen Namen und ist um dein Wohlergehen besorgt?“

„Keine Ahnung.“ Ich verteile mechanisch die Cocktails. Bei dieser Zusammenstellung der Fakten kriege ich wieder Herzrasen. Auch wenn sie etwas verzerrt ist. Torben weiß ja auch nichts von Kilians Radioshow, für die er mich anwerben will.

Aber er ist noch nicht fertig. „Und warum bist du so abweisend zu ihm, wenn er so nett ist?“

„Selbstschutz?“, schlage ich vor.

„Du brauchst keinen Schutz. Was du brauchst, ist eine heiße Nacht mit dem Kerl oder hattest du schon das Vergnügen?“ Torben grinst neugierig. Nicht nur er ist neugierig, auch seine Freunde haben unseren kleinen Plausch aufmerksam verfolgt und glucksen nun leise.

Ich verziehe den Mund und funkle meinen Cousin kühl an. „Nein, wie ich bereits sagte, ich habe keine Zeit.“

„Ruben, das Leben muss auch ab und zu mal Spaß machen“, klärt mich Torben altklug auf. „Du kannst doch nicht immer nur studieren und arbeiten!“

„Wie du siehst, schon“, knurre ich angepisst und lasse ihn da sitzen.

Scheiße, meine Füße brennen wie Hölle. Für einen Augenblick verziehe ich mich nach unten in die Küche und setze mich hin. Aber dadurch wird es nur noch schlimmer. Jetzt schwellen sie erst so richtig an und drücken um so mehr an der wunden Stelle. Außerdem habe ich verdammten Durst und ich hatte noch keine Zeit zum Essen. Mein ganzer Körper rebelliert und ich kann aus vollster Überzeugung sagen, dass ich noch nie in meinem Leben so kaputt war wie nach dieser Woche. Allmählich kommen mir Zweifel, ob ich mich nicht doch übernommen habe. Kilian hat schon recht, so entsetzt zu sein. Und Torben auch. Es ist krank. Das sehe ich doch selbst. Aber ich habe einfach keine Wahl.

„Na Ruben, pennst du schon?“, erkundigt sich der Manager streng.

Ich blicke ihn träge an. „Fünf Minuten Pause.“

„Der Laden ist gerammelt voll!“, erinnert er mich und wirft in einer übertriebenen Geste die Hände in die Höhe. „Du wirst nicht fürs Rumsitzen bezahlt.“

Mein Stolz hindert mich daran, auf meine Pause zu bestehen. Außerdem bringt sie ja eh nichts als geschwollene Füße. Seufzend erhebe ich mich, schnappe mir das Fingerfood, für das ich runter gekommen bin, und laufe dann wieder nach oben. Ich war noch nie so kurz davor, mir etwas von einem der Teller zu stibitzen wie jetzt.

Die Treppe ist mein Tod. Auf den letzten Stufen beginne ich plötzlich, Sterne zu sehen. Ich kneife die Augen zusammen, reiße mich zusammen und taumle auch noch die restlichen Stufen hoch, ohne viel dabei zu sehen. Der Teller in meiner Hand zittert. Meine Knie werden weich. Kacke. Ich beuge mich etwas nach vorn und blicke zur Bar, aber irgendwie ist mir schwarz vor Augen und ich sehe plötzlich gar nichts mehr. Dann klirrt der Teller. Als letzten Versuch, auf den Beinen zu bleiben, kralle ich mich an irgendetwas fest. Anscheinend sinnlos.

Verwirrt schlage ich die Augen auf und sehe mich um. Unter mir spüre ich nur den klebrigen Boden. Mein Kopf dröhnt. Alles redet durcheinander. Ich verstehe kein Wort. Plötzlich blicke ich in ein Paar eisblauer Augen. Irgendwoher kenne ich die. Auch die Stimme, die sanft auf mich einredet. Ein Traum? Jemand will meine Beine hochlegen, doch die Stimme wehrt es ab.

„Er ist wieder bei Bewusstsein. Ich bringe ihn besser gleich zu einem Arzt.“

„Kein Arzt“, brumme ich entrüstet und versuche, mich aufzurichten. Sofort helfen mir zwei starke Arme, die ich endlich als Kilians identifiziere.

Dann erklingt Torbens Stimme von der anderen Seite. „Soll ich dich heimbringen, Ruben?“

„Ich muss weiterarbeiten.“

„Nicht im Ernst!“, blafft mein Cousin und kneift mich in den Arm. Das hat er schon als Fünfjähriger getan, wenn er wütend war und sich nicht anders wehren konnte. Allerdings schmerzt mein Körper auch ohne seine Mithilfe schon genug, weshalb ich ihn böse anblitze. Wenigstens bin ich jetzt wieder voll da.

„Du kannst heimgehen“, erlaubt mein Chef, der sich jetzt ebenfalls über mich beugt. „Ich hab’ Lisa schon angerufen. Sie kommt gleich, um dich zu vertreten. Morgen will ich dich hier auch nicht sehen. Ruh dich aus.“

„Aber …“ Ich versuche, etwas einzuwenden. Sinnlos. Der Chef ist schon wieder weg und wird vor Publikum kaum den Ausbeuter raushängen lassen. Am besten rufe ich ihn morgen an und frage, ob ich wenigstens die Nachmittagsschicht übernehmen kann.

„Kannst du aufstehen?“, erkundigt sich Kilian behutsam.

„Klar“, behaupte ich. Allerdings bin ich für die Hilfe der beiden dann doch ganz dankbar. Meine Knie fühlen sich noch ganz weich an. Ergeben lasse ich mich nach unten führen. Doch dann mache ich mich los.

„Mir geht’s gut. Ich komme schon allein nach Hause. Ihr könnt zurückgehen.“

„Du willst jetzt mit dem Fahrrad fahren?“, fragt Torben empört. Kilian hält sich im Hintergrund. Wenigstens werden meine Nerven so nicht noch mehr beansprucht.

„Ich kann es auch hier stehen lassen und mit dem Bus fahren.“

„Das glaube ich nicht eher, bis ich dich persönlich in einen gesetzt habe“, knurrt Torben. „Du Dickkopf.“

„Ich könnte dich samt Rad nach Hause fahren“, schlägt Kilian sachlich vor. „Ich hab‘ mein Auto in der Nähe geparkt.“

„Das wäre natürlich toll“, antwortet Torben für mich.

Ich bin zu befangen, um darauf etwas zu sagen, und meine Ohren glühen.

Kilian lächelt einnehmend. „Wo wohnst du denn?“

„Bockelsberg, oben bei der Uni“, erklärt Torben erneut für mich. Er klingt total begeistert.

Hallo? Er will seinen schutzlosen, erschöpften Cousin tatsächlich mit diesem heißen Typen verkuppeln? Kennt er denn gar kein Erbarmen? Als hätte ich mich nicht schon genug blamiert. Aber dieses Angebot abzulehnen – vor allem nachdem es der vorlaute Torben schon angenommen hat –, wäre einfach blöd. Die Busse fahren beschissen um diese Zeit und fürs Fahrradfahren bin ich echt zu platt. Seufzend gebe ich nach und lasse mich von Kilian nach draußen führen. Torben bleibt im Café zurück. Wahrscheinlich denkt er, ich wäre bestens aufgehoben.

.
.